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Die erste Vorbereitung ist das Absorbieren des Drehbuchs. - Schauspieler Lukas Miko
Herzliche Gratulation zum Großen Schauspielpreis der Diagonale’24! Welche Emotionen und Gedanken gehen dir durch den Kopf, wenn du an den Moment zurückdenkst (wo warst du in dem Moment eigentlich?), als du erfuhrst, dass du den Schauspielpreis der Diagonale gewonnen hast?
Dankeschön. Ich saß auf dem Sofa und hab gerade gearbeitet. Ich war erstmal sprachlos. Ich spiele jetzt schon seit über 30 Jahren und mein Weg war nicht immer einfach. Zwischendurch fühlte ich mich manchmal von der Branche vergessen, ignoriert, nicht gebraucht. Weil man manchmal über längere Zeit keine relevante Arbeit angeboten bekommt und glaubt, was man bisher gemacht hat, sei für gegenwärtige Besetzungsentscheidungen bedeutungslos. Und dann kommt plötzlich dieser Anruf, dieser große Preis, der sagt, wir haben deinen langen Weg wahrgenommen und schätzen, was du machst. Das bedeutet mir sehr viel. Und es ist eine schöne Ermutigung, weiter zu gehen und noch mutiger zu werden, in dem, was man macht. In Österreich kann ich mir keine schönere Anerkennung denken. Außer neue herausfordernde Arbeit. Die darf gern noch mehr werden.
Deine Darstellung des drogenabhängigen Stiefvaters in Die beste aller Welten brachte dir den Österreichischen Filmpreis ein. Wie hast du dich auf eine so komplexe Rolle vorbereitet und welche emotionalen Herausforderungen hast du dabei erlebt?
Die erste Vorbereitung ist das Absorbieren des Drehbuchs. Alle Gefühle und Gedanken in mir wahrzunehmen, die die Lektüre bei mir auslöst. Und nochmal lesen und nochmal lesen. Dann mit dem Regisseur sprechen, Fragen stellen und nicht gleich beantworten. Fragen öffnen Räume. Dann die Proben. Erleben, was das mit dir macht, wenn deine Spielpartner:in etwas tut. Dann natürlich auch Recherche. Ich liebe es in die Welt einzutauchen, in der ein Film spielt. In dem Fall hab ich mit Drogensüchtigen Zeit verbracht, ihnen zugehört. Dann hab ich eigene Suchterfahrungen befragt. Ohne was man glaubt nicht leben zu können und warum. |
Sehr wichtig war auch die Begegnung mit dem realen Stiefvater. Ich war ihm sehr dankbar dafür. Ich bin mit ihm jeden Satz meiner Rolle durchgegangen und habe ihn gefragt, ob er das wirklich so gesagt hätte oder ob er vielleicht was anderes gesagt oder getan hat. Und was er gedacht und gefühlt hat in bestimmten Momenten. Dabei habe ich gleichzeitig seinen Akzent studiert. Das war eine große Besonderheit bei dieser Arbeit. Und dann musst du alle Vorbereitung loslassen und auf dem Set von Augenblick zu Augenblick unter imaginären Umständen leben. Und Adrian Goiginger war großartig. Nicht nur als Autor, sondern auch als Regisseur. Er ist sehr offen für Ideen. Und er hat uns manchmal überrascht, in dem er einem von uns etwas heimlich gesagt hat, dass er beim nächsten Take überraschend tun oder sagen sollte in der Szene. Dadurch waren wir alle immer sehr wachsam und im Hier und Jetzt, weil wir nie ganz sicher sein konnten, was als Nächstes passiert.
Du hast auch Erfahrung als Drehbuchautor und Regisseur. Wie beeinflusst deine Erfahrung als Schauspieler deine Arbeit hinter der Kamera?
Ich lerne extrem viel durchs Drehbuchschreiben für das Schauspielen und umgekehrt. Ich verstehe dadurch besser, warum eine Szene so und so gebaut ist und welche Funktion sie im ganzen Film hat. Und dadurch fokussiere ich als Schauspieler mehr auf das Wesentliche. Beim Regieführen hat mir meine Erfahrung als Schauspieler natürlich beim Inszenieren geholfen. Ich glaube zu wissen, welche Art von Regie-Anweisungen fruchtbar sind und welche nicht. Ich mag keine ergebnisorientierten Ansagen. Ich bevorzuge als Schauspieler phantasie-öffnende Ansagen, bei denen ich selbst nicht gleich weiß, wie ich das umsetzen werde und mich selbst und meine Spielpartner:in überrasche. Z.B. ein präzises „es ist, als ob…“ oder eine überraschende treffende Beobachtung der Regisseurin, die von einer besonderen Menschenkenntnis zeugt. Generell gewinnt man durch jede Erfahrung in einem anderen Department Einsicht und Respekt für das, was dort gefragt ist und kann dann in der Zusammenarbeit besser einschätzen, wonach der Andere sucht und was es braucht, damit eine Szene besser gemeinsam erarbeitet werden kann.
Du bist bei der Diagonale mit deinen zwei neuesten Filmen, Persona Non Grata und Er So Sie So, vertreten. Was hat dich an diesen Projekten gereizt und welche Erfahrungen hast du während der Dreharbeiten gemacht?
Bei Persona Non Grata war es eindeutig das Thema, das ich unterstützen wollte. Und dann fiel mir auf, dass meine Rolle vor allem von der Qualität des Zuhörens lebt. Zuhören ist etwas sehr Filmisches. Weil der Zuschauer in ein zuhörendes Gesicht schaut und ablesen muss, was das Gehörte auslöst. Das schafft auch ein gewisses Geheimnis, nicht genau zu wissen, was der denkt. Und dazu reizte mich die Verantwortung, dass ich mit meiner Qualität des Zuhörens die Art und Weise, wie das Publikum dieser Frau zuhört, beeinflusse. Die Betroffenen von Missbrauch machen ja oft die schmerzhafte Erfahrung, dass man ihnen nicht glaubt oder nicht einmal Gehör schenkt. |
Mir war wichtig, einen Mann zu zeigen, der empathisch und „professioneller Journalist“ zugleich ist, was sich ja nicht ausschließen muss, und der im Laufe des Interviews oder auch des ganzen Films ein zunehmendes Gespür dafür entwickelt, eine bestimmte Grenze bei dieser Frau zu wahren, und der ihre Unverfügbarkeit für seine Pläne schließlich gelassen akzeptiert.
Die Herstellung von Er So Sie So war ein besonderer Prozess, der während Corona begann. Benjamin Heisenberg und ich haben immer wieder gezoomt und uns ausgetauscht. Irgendwann konkretisierte sich der Wunsch, etwas zu machen, ohne auf Fördergelder warten zu müssen und auch ohne einen gewissen Ergebnisdruck. Er hatte ähnliche Gespräche mit dem Kameramann Timon Schäppi und der Schauspielerin Anna Tenta. Dann schrieb er, ausgehend von den Gesprächen ein erstes Drehbuch. Dann haben wir das zusammen weiterentwickelt und uns in einem Wald an einem Teich in der Schweiz getroffen (weil er dort wohnt) und in zwei Tagen fast eine halbe Stunde Filmmaterial gedreht. Nach dem Rohschnitt hatten wir alle das Gefühl, da fehlt noch was. Und dann hatte Ben diese wunderbare Idee, Voice-Over auf sehr ungewöhnliche Weise zu nützen. Nämlich so, dass jede Figur allein sich an diese gemeinsame Begegnung zurückerinnert und darüber sinniert, was sich da eigentlich zwischen dem Mann und der Frau ereignet hat. Wie ein sehr intimes Psychotherapeuten-Gespräch, aber ohne dass man den Therapeuten hört. Das Spannende war, dass sich nun das gefilmte Material mit diesen Voice-Over-Erinnerungen und Reflektionen reibt, weil es sich widerspricht. So wie Erleben und Erinnerung an Erlebtes eben verschiedene Dinge sind. Die Erinnerung interpretiert schon, schreibt um. In unserem Film ereignet sich also JETZT etwas und das ist gleichzeitig schon Vergangenheit, die aus der Zukunft her erinnert und reflektiert wird. Ich würde sehr gern mal einen langen Spielfilm auf diese prozesshafte Weise erarbeiten. Wie ein Bild, das man immer wieder übermalt. Weil man spürt, das ist es noch nicht. Das Beglückende an diesem Prozess ist, er könnte unendlich weitergehen.
Als Mitbegründer von #KlappeAuf setzt du dich gegen Hassreden ein. Wie wichtig ist es für dich, soziale und politische Themen in deiner Arbeit als Künstler anzusprechen?
Ich wähle meine Projekte sehr stark danach aus, dass sie eine gesellschaftliche und menschliche Relevanz haben. Wim Wenders hat mal gesagt, dass die Filme, die vorgeben unpolitisch zu sein, die Politischsten sind. Weil sie die Möglichkeit einer Veränderung verwerfen. In jeder Einstellung sagen sie dir, dass alles gut ist, wie es ist. Sie sind eine kontinuierliche Werbung für die Dinge, wie sie sind. Damit kann ich viel anfangen. Ich glaube, es ist ein ungeheures Privileg für Millionen von Euro Filme zu machen. Das ist für mich nur zu rechtfertigen, wenn es um etwas geht, dass der Gesellschaft einen gewissen Impuls gibt. Ich mache mir keine Illusionen über den Menschen. Aber ich möchte ihn doch soweit ernst nehmen, dass ich ihm gewisse Dinge, die auf der Welt passieren, zumuten kann. Film kann sensibilisieren, kann Dinge ins Bewusstsein rücken, die sonst allzu schnell vergessen werden. Oder sie können an die Kraft der Liebe, der Solidarität und an die Einhaltung von Menschenrechten appellieren. Das darf und muss spannend sein, auch unterhaltsam oder komisch, es muss aber eben auch nachhaltig unter die Haut und ins Hirn gehen. Mir ist die Nachhaltigkeit von Filmen wichtiger als der bloße Konsum des Zuschauens.
Welche zukünftigen Projekte stehen für dich an, sei es als Schauspieler, Drehbuchautor oder Regisseur?
Als Nächstes drehe ich meinen ersten Kinder-Kinofilm, mit dem Regisseur Benjamin Heisenberg (Er So Sie So), in dem ich den „Bösewicht“ spielen werde. Darauf freu ich mich sehr, weil das endlich mal ein Film ist, den meine Kinder sehen dürfen. Dann gibt es ein US-Projekt, dessen Produktionsstart schon mehrmals verschoben wurde und von dem ich hoffe, dass es bald losgeht. Aktuell stecke ich aber die meiste Arbeit in ein Drehbuch über den Arzt Ignaz Semmelweis, einen Geburtshelfer des 19. Jahrhunderts. Darin geht es um eine segensreiche wissenschaftliche Entdeckung, die Millionen Frauen weltweit das Leben retten könnte. Sie bleibt aber ungenutzt und das große Sterben geht weiter. Und die Frage, die sich stellt, ist, warum will man von der Wahrheit nichts wissen? Und die Antworten sind komplex und liegen einerseits in einem patriarchalen System, das auf Machterhalt ausgerichtet ist und verweigert sich der eigenen Verantwortung bzw. Schuld zu stellen. In einem rigorosen Klassismus, in dem das Leben von armen Menschen nichts wert ist. Und andererseits auch im Charakter von Semmelweis selbst. Man könnte mit heutigen Begriffen sagen, er war zu polarisierend und zu wenig auf Konsens aus. Um etwas zu bewegen, braucht es aber wohl beides.
Was ist dein Lieblingsfilm aus Österreich?
Erstmal liebe ich alle Filme, an denen ich mitarbeiten konnte. Sie sind wie Erinnerungen an eine intensive gemeinsame Lebenszeit. Ich habe nicht den einen österreichischen Lieblingsfilm, sondern liebe gerade die Vielfalt an Erzählformen und Stimmen. Zuletzt fand ich z.B. Mit einem Tiger schlafen von Anja Salomonowitz und Europa von Sudabeh Mortezai herausragend. Und in den letzten Jahren hab ich mehr und mehr den österreichischen Dokumentarfilm für mich entdeckt. Auf der Diagonale schau ich mir deshalb vor allem Dokumentarfilme an, weil ich sonst nicht dazukomme, mir die im Kino anzuschauen. Vom letzten Jahr sind mir z.B. A Boy’s Life von Christian Krönes und Florian Weigensamer und Am Rande der Welt von Goran Rebić in bleibender Erinnerung. Und De Facto von Selma Doborac, das war eine verstörende Erfahrung, etwas, das ich so noch nie zuvor gesehen habe. Ein Film, der mir sehr viel bedeutet, ist Hanekes Code Unbekannt. Dieser Film ist eine andauernde Inspiration. Ich staune immer wieder darüber, wieviel Welt er in diesen Film gepackt hat. Er ist irgendwie ein Geschwisterfilm zu 71 Fragmente…, den ich mit Haneke gemacht habe, auch eine Gesellschaftsanalyse über das Scheitern von Kommunikation, mit viele verschiedenen Charakteren, und beide finde ich formal einzigartig.
Und zu guter Letzt: This or That?
Sommer oder Winter
Oh je. Früher war ich ein leidenschaftlicherer „Entweder-Oder“-Mensch. Mit dem Alter werde ich mehr und mehr zu einem „Und“-Menschen. Ich mag Abwechslung und Vielfalt. Aber gut, in diesem Fall doch Sommer, denn Kälte geht mir auf die Dauer auf den Keks.
Katze oder Hund
Katze und Hund.
Graz oder Wien
Graz und Wien.
März oder April
März und April.
Dokumentarfilm oder Spielfilm
Und.
Kurzfilm oder Miniserie
Und.
Kaufen oder Leihen
Meistens leihen. Ich kaufe nur Filme, die ich schon kenne und von denen ich weiß, ich werde sie mir immer wieder anschauen.
Puntigamer oder Ottakringer
Kein Bier. G‘spritzter.